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Grundsatzrede des Regierungschefs

Hongkong im Würgegriff Pekings: Eine Stadt kämpft gegen die Bedeutungslosigkeit

Hongkong
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Trotz atemberaubender Kulisse: Hongkong hat für viele seine Anziehungskraft verloren.

Hongkongs Regierungschef John Lee will die strauchelnde Wirtschaft der Stadt wiederbeleben. Doch die Kontrolle Pekings über die Metropole wächst.

München/Hongkong – Als Xi Jinping am vergangenen Sonntag in Peking den Parteitag von Chinas Kommunisten eröffnete, herrschte in der Großen Halle des Volkes eiserne Disziplin. Fernsehkameras zeigten die rund 2.300 Delegierten, wie sie konzentriert lauschten und sich eifrig Notizen machten während der gut 100-minütiger Ansprache von Chinas Staats- und Parteichef. Als am Mittwoch hingegen John Lee, Hongkongs neuer Regierungschef von Pekings Gnaden, nach 100 Tagen im Amt seine erste Grundsatzrede hielt, ging es deutlich lockerer zu. Wie die South China Morning Post beobachtete, spielten einige der Zuhörer im Legislativrat der Stadt mit ihren Handys, andere genehmigten sich einen Zwischendurch-Snack. Was angesichts der Länge von Lees Vortrag kaum verwunderte: Fast drei Stunden lang redete der 64-Jährige ohne Punkt und Komma über die kleinen und großen Probleme seiner Stadt.

Und Probleme hat Hongkong viele. Die Stadt, die einst britische Kronkolonie war und seit 1997 wieder ein Teil Chinas ist, hat ihren Glanz verloren. Einst war Hongkong Asiens wichtigstes Finanzzentrum und zudem eine multikulturelle Metropole, die Menschen aus der ganzen Welt anzog. Seit einiger Zeit aber wollen viele nur noch weg aus Hongkong. Das gab sogar Regierungschef Lee, der sein Amt im Juli angetreten hatte, zu. „In den letzten zwei Jahren schrumpfte die Zahl der Beschäftigten um etwa 140.000“, sagte er am Mittwoch. Insgesamt haben seit 2020 mehr als 200.000 Menschen der Stadt den Rücken gekehrt, wie aus offiziellen Zahlen hervorgeht.

Hongkong: Von der britischen Kolonie zur Weltstadt unter chinesischer Kontrolle

Zwei Männer in einer Opiumhöhle im China des 19. Jahrhunderts.
Die Geschichte Hongkongs beginnt mit einem Angriffskrieg: Im Jahr 1839 brach Großbritannien den Ersten Opiumkrieg gegen das chinesische Kaiserreich vom Zaun. Die Briten wollten das Land weiterhin mit Opium aus ihren indischen Kolonien überschwemmen, das in den sogenannten Opiumhöhlen konsumiert wurde und die Bevölkerung abhängig machte. China verlor den Krieg und musste mehrere Häfen für den Freihandel öffnen. Die Briten besetzten 1841 Hong Kong Island und erklärten es wenig später zur Kolonie. © Imago Images
Hongkong im 19. Jahrhundert
Nach dem Zweiten Opiumkrieg (1856-1860) fiel auch die Halbinsel Kowloon an die Briten. 1898 verpachtete das in den letzten Zügen liegende chinesische Kaiserreich schließlich die sogenannten New Territories an Großbritannien, ein großes Gebiet im Norden der Kolonie, das für die Versorgung der Stadt essenziell ist. Nach 99 Jahren, so der Vertrag, muss es an China zurückgegeben werden. © Imago Images
Im Zweiten Weltkrieg wird Hongkong von Japan besetzt.
Im Zweiten Weltkrieg wurde Hongkong von Japan besetzt. Die Japaner beteiligten erstmals die lokale Bevölkerung an der Politik, nachdem die Briten den Einheimischen zuvor jegliche Partizipation verweigert hatten. 1945 fiel die Stadt wieder an Großbritannien, demokratische Reformen wurden zurückgenommen. © United Archives/Imago Images
1967 wird Hongkong von Protesten erschüttert.
Über viele Jahre vernachlässigten die Briten die Interessen der chinesischen Bürger Hongkongs. Die Ungleichheit in der Stadt nahm zu, die Wohnbedingungen waren miserabel. 1967, ein Jahr nach Ausbruch der Kulturrevolution in China, kam es in Hongkong zu Demonstrationen und Ausschreitungen. Die sogenannten Mai-Unruhen mit 51 Toten und Hunderten Verletzten veranlassten die Briten dazu, sich verstärkt um die soziale Lage in der Stadt zu kümmern. Zudem entstanden in den Folgejahren einflussreiche Bürgerbewegungen. © Imago Images
Hongkong in den 80-ern.
In den 70er- und 80er-Jahren erlebte Hongkong einen Wirtschaftsboom, der das Gesicht der Stadt für immer veränderte. Einheimische Familienunternehmen machten aus Hongkong ein Industriezentrum, das die Welt mit günstigen Gütern wie Kleidung und Spielzeug belieferte. Für das abgeschottete China wurde die Stadt zum „Fenster zur Welt“ und sicherte dem Land Zugang zu den internationalen Märkten. Als sich China immer mehr dem Westen öffnete, wurden große Teile der Produktion in die Volksrepublik verlagert. © Gerhard Leber/Imago Images
Deng Xiaoping und Margaret Thatcher
Einen großen Teil des heutigen Hongkong hatte Großbritannien für nur 99 Jahre gepachtet; die restlichen Gebiete, die theoretisch dauerhaft in britischem Besitz hätten bleiben können, wären alleine nicht überlebensfähig gewesen. In den 80ern begannen deswegen die Verhandlungen zur Rückgabe der Kronkolonie an China. 1984 trafen Chinas Staatschef Deng Xiaoping und die britische Premierministerin Margaret Thatcher in Peking zusammen. Bis 1990 wurde an den Details gefeilt, zuletzt nur noch unter Beteiligung von Vertretern Hongkongs und der Volksrepublik. © Xinhua/AFP
Pekinger Tiananmen-Massaker
Kurz vor Ende der Verhandlungen schockierte das Tiananmen-Massaker die Welt – und auch Hongkong war fassungslos. Die chinesische Führung hatte mit brutaler Gewalt die Demokratiebewegung am Pekinger Platz des Himmlischen Friedens niedergeschlagen, alle Hoffnungen auf eine Demokratisierung des Landes waren dahin. Entsprechend groß waren die Ängste in Hongkong vor einer Rückkehr zu China. © Jeff Widener/picture alliance/dpa/AP
Hongkongs letzter Gouverneur Chris Patten
Am 1. Juli 1997 wurde Hongkong wieder ein Teil Chinas, 99 Jahre nach Verpachtung der New Territories an Großbritannien. Chris Patten, der letzte britische Gouverneur, nahm am Vorabend die britische Flagge entgegen. Hongkong war nun eine chinesische „Sonderverwaltungszone“ und wurde nach dem Grundsatz „Ein Land, zwei Systeme“ regiert. China sicherte der Stadt zu, dass sie für 50 Jahre ihre politischen und wirtschaftlichen Freiheiten behalten dürfe – ein Versprechen, das schon bald gebrochen werden sollte. © Emmanuel Dunand/AFP
Proteste gegen geplantes Sicherheitsgesetz
Zunächst respektierte Peking noch, dass in Hongkong andere Gesetze gelten als in der Volksrepublik; es war vor allem die Asienkrise, die den Bürgern der Stadt in den Jahren nach der Rückgabe an China zu schaffen machte. Im Jahr 2003 aber kam es zur ersten großen politischen Krise in der Stadt: Die Zentralregierung wollte ein Sicherheitsgesetz einführen, das viele Bürger als Angriff auf die Pressefreiheit ansahen und das polizeilicher Willkür Tür und Tor geöffnet hätte. Nach Massendemonstrationen nahm die Regierung den Entwurf schließlich zurück. © Peter Parks/AFP
Demonstrationen 2011
Ein paar Jahre, im Jahr 2011, später nahm Peking die Schulen in Hongkong ins Visier – und provozierte erneut massiven Widerstand. Ein neues Gesetz sollte dafür sorgen, dass in den Schulen der Stadt ein Pflichtfach mit dem Namen „Moralische und nationale Erziehung“ die Werte der Kommunistischen Partei lehrt. Wieder gingen Zehntausende auf die Straßen, diesmal vor allem junge Menschen. Ihr Protest hatte Erfolg, das Gesetz kam nicht. © Mike Clarke/AFP
Demonstrationen 2014
Zu noch größeren Massenprotesten kam es im Jahr 2014. Auslöser war ein Beschluss der chinesischen Regierung, nach dem der Regierungschef von Hongkong von einem pekingtreuen Wahlgremium bestimmt werden sollte. Eine echte Demokratisierung der Stadt rückte damit in weiter Ferne. Die „Regenschirm-Bewegung“ – so genannt, weil sich die Demonstranten mit Regenschirmen gegen den Einsatz von Tränengas zur Wehr setzten – mobilisierte Hunderttausende. Für Wochen legten die Protestierer weite Teile von Hongkong lahm. Ihr Ziel erreichten die Aktivisten nicht, viele von ihnen landeten im Gefängnis. © Alex Ogle/AFP
Proteste 2019
Im Februar 2019 brachte ein junger Mann aus Hongkong im Taiwan-Urlaub seine Partnerin um. Zurück in Hongkong, gestand er die Tat – konnte in der Stadt aber nicht angeklagt werden, da er den Mord im Ausland begangen hatte. Auch in Taiwan konnte ihm der Prozess nicht gemacht werden, weil es kein entsprechendes Auslieferungsabkommen gab. Ein neues Gesetz sollte das ändern. Dieses Gesetz hätte es allerdings auch ermöglicht, dass Menschen aus Hongkong nach China ausgeliefert werden könnten. Für die Bürger der Stadt ein Tabubruch. Wieder gingen Hunderttausende auf die Straßen, es waren die größten Proteste, die Hongkong je gesehen hatte.  © Dale de la Rey/AFP
Proteste 2019
Über Monate wurde in Hongkong demonstriert, Millionen Bürger zogen durch die Straßen der Stadt. Die Polizei ging zunehmend mit Gewalt gegen die Menschen vor, auch Teile der Demonstranten radikalisierten sich. Die Regierung in Peking reagierte schließlich mit dem sogenannten „Nationalen Sicherheitsgesetzes“, das 2020 in Kraft trat. Das bewusst sehr vage formulierte Gesetz stellt terroristisches, subversives oder separatistisches Verhalten unter Strafe – was damit genau gemeint ist, bestimmen die Behörden. Dutzende Menschen wurden seitdem verhaftet, die Meinungs- und Pressefreiheit deutlich eingeschränkt. © Nicolas Asfouri/AFP
Corona-Pandemie in Hongkong
Nicht nur das „Sicherheitsgesetz“, auch die Corona-Pandemie versetzte der Demokratiebewegung den Todesstoß. Nachdem das Virus Ende 2019 erstmals im chinesischen Wuhan nachgewiesen worden war, reagierte auch die Stadt Hongkong mit drastischen Eindämmungsmaßnahmen. Zunächst konnte die Pandemie unter Kontrolle gebracht werden; Anfang 2022 aber schlug das Virus mit aller Macht zu und infizierte Hunderttausende der rund 7,5 Millionen Einwohner.  © Peter Parks/AFP
John Lee wird neuer Regierungschef von Hongkong
Seit 1. Juli 2022 – dem 25. Jahrestag der Rückgabe Hongkongs an China – wird die Stadt von John Lee regiert. Der ehemalige Polizist und Sicherheitschef gilt als Hardliner und unterstützt die Politik von Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping rückhaltlos. Heute ist Hongkong noch immer ein wichtiges Finanzzentrum, aber die Strahlkraft der einst so weltoffenen Stadt ist verblasst. Hunderttausende haben Hongkong für immer verlassen, und ob die Demokratiebewegung jemals wieder ihren großen Moment haben wird, ist mehr als ungewiss. © Li Gang/Xinhua/Imago

Hongkong hatte vorübergehend die höchste Corona-Todesrate weltweit

Grund für den Massen-Exodus war unter anderem die Corona-Politik, die Hongkong gut zwei Jahre lang vom Rest der Welt abgeschnitten hatte. „Lees Regierung hat sich strikt an Chinas Null-Covid-Politik gehalten, wodurch Hongkongs Rolle als internationale Logistik- und Finanzdrehscheibe untergraben wird“, sagt der Demokratieaktivist Finn Lau, der im Londoner Exil lebt, dem Münchner Merkur von IPPEN.MEDIA. Monatelang hatte die Stadt die Grenzen dicht gemacht – in Richtung China, aber auch zum Rest der Welt.

Flächendeckende Lockdowns wie in der Volksrepublik gab es in Hongkong zwar nicht, die Covid-Maßnahmen der Stadtregierung zählten dennoch zu den härteten weltweit. Erst im August wurde die strenge Hotel-Quarantäne für Einreisende beendet. Wer heute von Hongkong ins benachbarte Shenzhen reisen will, das auf dem chinesischen Festland liegt, muss dort aber noch immer in Zwangsquarantäne.

Nachdem die Stadt im Frühjahr die höchste Corona-Todesrate der Welt verzeichnen musste, scheint die Pandemie in Hongkong nun weitgehend unter Kontrolle, auch dank hoher Impfquoten. 94 Prozent der Bevölkerung haben mindestens eine Spritze erhalten, immerhin 80 Prozent sogar die dritte Dosis – deutlich mehr als etwa in Deutschland.

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Das IPPEN.MEDIA-Netzwerk ist einer der größten Online-Publisher Deutschlands. An den Standorten Berlin, Hamburg/Bremen, München, Frankfurt, Köln, Stuttgart und Wien recherchieren und publizieren Journalistinnen und Journalisten unserer Zentralredaktion für mehr als 50 Nachrichtenangebote. Dazu zählen u.a. Marken wie Münchner Merkur, Frankfurter Rundschau und BuzzFeed Deutschland. Unsere Nachrichten, Interviews, Analysen und Kommentare erreichen mehr als 5 Millionen Menschen täglich in Deutschland.

Hongkong unter Kontrolle Chinas: „Auslöschung der Kultur und Identität“ der Stadt

Auch die Niederschlagung der Demokratiebewegung 2019 und die Einführung eines sogenannten „Sicherheitsgesetzes“ im Juni 2020 haben für Unsicherheit in Hongkong gesorgt. Das „Sicherheitsgesetz“ hat die Meinungs- und Pressefreiheit in der von Peking kontrollierten Stadt de facto abgeschafft, Dutzende Aktivisten wurden zu Haftstrafen verurteilt. John Lee, der von der chinesischen Regierung für den Spitzenjob ausgewählt worden war, liegt ganz auf der Linie Pekings. „Wir sind Zeuge eines Rückgangs der Autonomie Hongkongs, des Verlusts der bürgerlichen Freiheiten und der vorsätzlichen Auslöschung der Kultur und Identität Hongkongs geworden“, sagt der Aktivist Lau über Lees erste 100 Tage im Amt. Für ihn ist der Regierungschef „eine Marionette Chinas“.

In seiner Rede vom Mittwoch gab Lee ganz im Tonfall Pekings „bestimmten externen Kräften“ die Schuld an der Lage seiner Stadt. Diese hätten „unser Land absichtlich verleumdet und die Situation in Hongkong verzerrt“. Trotz der offensichtlichen Probleme forderte er: „Wir müssen der Welt ein wahres Bild von Hongkong vermitteln, unsere Stärken, Errungenschaften und Möglichkeiten herausstellen und zeigen, dass die Stadt ein guter Ort ist, an dem die Menschen ihre Träume verwirklichen können“. Konkret will Lee mit mehreren Programmen Arbeitskräfte aus China und dem Ausland anwerben. Zudem soll es für ausländische Experten einfacher werden, sich in der Stadt dauerhaft niederzulassen. Auch sollen 1.000 in- und ausländische Promis für eine großangelegte Imagekampagne gewonnen werden.

John Lee ist seit Juli Regierungschef von Hongkong.

Hongkongs Wirtschaft leidet – auch wegen Chinas Corona-Politik

Ob das reicht, um Hongkong wieder attraktiv zu machen? Längst sind andere asiatische Städte wie Singapur oder Seoul bei Investoren und Expats beliebter als Hongkong, Prognosen sehen für dieses Jahr zudem eine Stagnation voraus, auch aufgrund der strauchelnden chinesischen Wirtschaft. Nach Lees Rede notierte der Hang Seng Index in Hongkong jedenfalls fast 2,4 Prozent im Minus.

Die Freiheiten, die Hongkong einst besaß, dürften so schnell nicht wiederkommen. Das machte Xi Jinping in seiner Parteitagsrede vom Wochenende deutlich. Darin betonte er, China besitze die volle Kontrolle über die Stadt und sorge dafür, „dass Hongkong von Patrioten regiert wird“. Patriotismus, das heißt nach chinesischer Lesart: Treue zur Zentralregierung in Peking. Dass Hongkong auch in Zukunft die Patrioten nicht ausgehen, dafür sollen die Schulen der Stadt sorgen. Seine Regierung, so John Lee, werde „die nationale Erziehung innerhalb und außerhalb des Klassenzimmers fördern, damit das Gefühl der nationalen Identität und des Nationalstolzes der Schüler gestärkt und ihr Bewusstsein für den gemeinsamen Schutz der nationalen Sicherheit unseres Landes geschärft wird.“ Der Demokratieaktivist Finn Lau hingegen spricht von „Indoktrinationsmaßnahmen“, mit denen der Bildungssektor Hongkongs „überschwemmt“ werde. (sh)

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